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Titel
Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke 1967–1989. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz


Autor(en)
Herf, Jeffrey
Erschienen
Göttingen 2019: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
518 S., 19 Abb.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mario Keßler, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die propagandistischen Angriffe der DDR auf den „Aggressor Israel“ während des Sechstagekrieges im Juni 1967 stehen am Beginn von Jeffrey Herfs jüngstem Buch, das 2016 bei Cambridge University Press erschien und jetzt auf Deutsch vorliegt. Über die weiteren Zäsuren 1972 (Anschlag in München), 1973 (Oktoberkrieg) und 1982 (Libanonkrieg) bis zum Fall der Berliner Mauer zeigt Herf, Professor für Europäische Geschichte an der University of Maryland at College Park, drei Grundelemente der DDR-Politik in ihrem Nicht-Verhältnis zu Israel wie in ihrer Unterstützung für die PLO.

Zum Ersten sah sich die DDR nicht in der Verantwortung für die Verbrechen des Hitler-Regimes. Sie erklärte, im Gegensatz zu Westdeutschland den gesellschaftlichen Zustand, der die Nazidiktatur erst ermöglicht hatte, überwunden zu haben. Mit dieser Begründung aber habe sich der ostdeutsche Staat, so Herf, aus der historischen Verantwortung aller Deutschen gestohlen. Zum Zweiten war die DDR auch im Verhältnis zu Israel von der Sowjetunion abhängig. Die SED hatte die Staatsgründung Israels begrüßt, folgte jedoch ab 1949 der sowjetischen Linie in ihrer Feindschaft zum jüdischen Staat mitsamt den antisemitischen Repressalien gegen Juden, wenngleich in deutlich abgeschwächter Form. Zum Dritten aber, und dies rückt Herf in das Zentrum seines Buches, ging die DDR mit ihrer anti-israelischen Haltung noch über die Sowjetunion hinaus: Aufgrund des diplomatischen Boykotts durch die engstirnige „Hallstein-Doktrin“ der Bundesrepublik hatte die DDR ein Eigeninteresse an guten Beziehungen zu Israels Feinden in der arabischen Welt. Seit 1969 nahm die DDR zu einer Reihe arabischer Staaten diplomatische Beziehungen auf. So wurde, wie Herf an vielen Beispielen nachweist, die Agitation gegen den Zionismus ein aus eigenem Antrieb gepflegter Kernbestandteil der DDR-Staatsdoktrin – bei gleichzeitiger Überhöhung der „nationalen Befreiungsbewegungen“ im arabischen Raum. Letztere wurden auch von der DDR mit Waffen beliefert. Dies betraf nicht nur Yassir Arafats Fatah, sondern ebenso – trotz offizieller Distanz – George Habaschs Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die sogar im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) insgeheim als extremistische Terrorgruppe galt.

In seinen detaillierten Angaben zur militärischen Zusammenarbeit geht Herf über Angelika Timms Pionierarbeit von 1997 noch hinaus.1 SED-Politbüromitglied Gerhard Grüneberg, der für die Kontakte zu den DDR-Partnern in der Region verantwortlich zeichnete, betonte intern: „Den Kampf auf politischem und den auf militärischem Gebiet betrachten wir […] als eine Einheit. Dabei ist zu beachten, dass die Initiative stets in unseren Händen bleiben muss.“ (S. 301) Gerhard Neiber, stellvertretender Minister und Leiter der MfS-Hauptabteilung XXII (Antiterror), war sich des darin liegenden Risikos bewusst: Er versuchte mit Erfolg, die seitens der DDR unterstützten palästinensischen Gruppen von Anschlägen in Westdeutschland und Westeuropa abzuhalten, „deren Spuren nach Ostdeutschland oder anderswo im Ostblock führten“ (S. 44). Die DDR-Führung war über die Angriffspläne Syriens und Ägyptens im Oktober 1973 frühzeitig informiert und unterstützte beide Staaten (in der „Geheimoperation Aleppo“) mit umfangreichem Kriegsgerät. Zudem flog die DDR Terroristen der Roten Armee Fraktion nach Jemen aus und entzog sie damit der bundesdeutschen Justiz.

Im November 1975 unterstützte die DDR die UN-Resolution 3379, die den Zionismus als eine Form des Rassismus brandmarkte. Sie setzte sich in den Vereinten Nationen für das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachkommen ein, während die Vertreibung von Juden aus arabischen Ländern kein Thema war. Für Herf sind die Beteuerungen der DDR-Führung, sie achte Israels Existenz, nur Zeichen eines zynischen Doppelspiels. Die Wahrheit sei hingegen ein „unerklärter Krieg“ gegen den jüdischen Staat gewesen. Dies habe schon 1969 Ulbrichts Angebot an die Sowjetunion gezeigt, DDR-Freiwillige zur militärischen Unterstützung nach Syrien zu schicken, wobei die Offerte in Moskau ausgeschlagen wurde (vgl. S. 37).

Wie die DDR setzten sich, so Herf, auch die Neuen Linken im Westen nie genauer mit den Ursachen des „modernen“ Judenhasses auseinander. Sie verkürzten diese stattdessen auf Ausgrenzungsmechanismen der kapitalistischen Ausbeuterordnung. Dabei hatte sich bis zum Junikrieg 1967 die westdeutsche Linke zum engagierten Fürsprecher möglichst enger Beziehungen zu Israel gemacht – auch gegen Widerstände in bürgerlichen Parteien. Nach Auschwitz seien die Zionismus-Analysen der Vorkriegszeit obsolet geworden. Die moralische Hypothek verbiete ohnehin eine deutsche Kritik an Israel.

Das idealisierte Israel-Bild brach im Juni 1967 zusammen. Schlagartig überwog im Zeichen des Antiimperialismus die emotionale Solidarität studentischer Linker mit den arabischen Opfern des Krieges. Diese geriet oft zur naiven Schwärmerei für die „palästinensische Revolution“, in der die Palästinenser nur noch als ein abstraktes Subjekt der Geschichte gesehen wurden, nicht mehr als eine Gesellschaft mit ihren Klassenwidersprüchen. Analog galt Israel als imperialistische Macht und nur noch diejenigen Israelis zählten als Verbündete, die sich gegen den jüdischen Staat wandten und einem nebulösen demokratischen Einheitsstaat den Vorzug gaben – in dem die Juden auf den Status einer nationalen Minderheit reduziert sein würden.

Im Falle einiger maoistischer Gruppen, nicht aber der DKP, erwuchs daraus die Befürwortung antijüdischer Gewaltakte in der Bundesrepublik und West-Berlin. Die israelkritischen Positionen der Neuen Linken verdichteten sich oft allgemein zu einer antizionistischen Ideologie, die indes von der SPD scharf kritisiert wurde. Ein abstrakter Faschismusbegriff und ungenügendes historisches Detailwissen ließen eine wachsende Zahl radikaler Linker die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung verkennen.

Leider nur am Rande vermerkt Herf (vgl. S. 10), dass dies keineswegs für die gesamte radikale Linke galt. So wandten sich schon 1967 jüdische Remigranten wie Ernst Bloch, Berthold Simonsohn, Ludwig Rosenberg oder Theodor Bergmann sowie protestantische Theologen wie Helmut Gollwitzer und Rolf Rendtorff gegen Revolutionsschwärmer, die vom palästinensischen Volkskrieg gegen das zionistische Besatzerregime träumten. Unter den Klardenkenden waren Sozialdemokraten, christliche Sozialisten, doch ebenso Marxisten zu finden, die durchaus als „radikale Linke“ zu bezeichnen sind.

Die 1970er-Jahre waren von politischen Auseinandersetzungen geprägt, in denen das positive Bild Israels auch in Teilen der SPD wie der bürgerlichen Mitte zugunsten einer Aufwertung der Palästinenser verblasste. Sogar der Terroranschlag auf die israelischen Sportler 1972 in München konnte diese Entwicklung nicht aufhalten; er rief vielmehr abstoßende Schadenfreude unter westdeutschen Pseudo-Revolutionären hervor (nicht aber in der DDR). Israel erschien zunehmend als ein militärischer Goliath, der wehrlose Palästinenser mit Brachialgewalt um ihre Lebensrechte bringe. Die Likud-Regierung von Menachem Begin (seit 1977) mitsamt auch scharfen antideutschen Tönen trug zur weiteren Ausformung eines Negativ-Images bei.

Die israelische Besetzung Südlibanons läutete 1982 eine neue Runde im Verhältnis der westdeutschen Linken zum jüdischen Staat ein. Die mit israelischer Duldung von Haddad-Milizen verübten Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila führte zu einer Abrechnung, bei der mit Slogans wie „Holocaust an den Palästinensern“ nicht gespart wurde. Doch signalisierte dieser Krieg auch einen beginnenden Wandel der westdeutschen Debatten. Dafür verantwortlich waren der Druck seitens progressiver Kräfte des Auslandes, auch Israels, die zunehmende Relativierung des Holocaust seitens der alten und neuen Rechten, die Rückbesinnung auf einen linken Ehrenkodex durch viele Grüne und Mitglieder der Alternativen Liste Berlin sowie eine neue Sensibilität innerhalb der Nach-68er-Generation. Gleichwohl blieb die affektgeladene Aufrechnung nazistischer Verbrechen mit israelischen Untaten ein ungelöstes Problem.

Mit Recht übt Herf scharfe Kritik an der DDR, wo diese – und das war ein Grundzug ihrer Politik – Israels Interessen entgegenarbeitete. Dennoch muss eingewandt werden, dass das Verhältnis der DDR zu Israel auch andere, von Herf nicht oder kaum behandelte Facetten aufwies. Die wissenschaftliche Literatur über Israel war seit ca. 1985 deutlich differenzierter als die politische Publizistik. Ausgezeichnete Übersetzungen brachten israelische Schriftsteller einem großen Leserkreis in der DDR nahe und konnten einseitige Urteile korrigieren. Zudem riskierten DDR-Diplomaten, etwa Horst Grunert (den Herf falsch „Grunnert“ schreibt), manche Kontroverse mit ihren Vorgesetzten, um die antiisraelische Politik zumindest abzumildern.

Die Zeit nach 1982 behandelt Herf in seinem lesenswerten Buch nur ganz knapp. So taucht die Rolle des Bereiches Kommerzielle Koordinierung bei Waffengeschäften kaum auf. Mehr wäre über die wachsende Einsicht innerhalb der PLO zu sagen gewesen. Arafat erkannte, dass Terroraktionen den Lebensinteressen nicht nur Israels, sondern auch der Palästinenser großen Schaden zufügten. So erklärt sich, dass er das zögernde Zugehen der DDR auf Israel seit etwa 1986 zwar nicht billigte, aber doch akzeptierte.2

Anmerkungen:
1 Angelika Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997.
2 Vgl. hierzu Lutz Maeke, DDR und PLO. Die Palästina-Politik des SED-Staates, Berlin 2017; rezensiert von Andreas Hilger, in: H-Soz-Kult, 02.02.2018, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-26336 (15.02.2020).